16/11/2024 0 Kommentare
Ein Gespräch zu „ekhn.2030“ mit Dekan i.R. Hans-Otto Rether und DSV-Mitglied Benjamin Albrecht
Ein Gespräch zu „ekhn.2030“ mit Dekan i.R. Hans-Otto Rether und DSV-Mitglied Benjamin Albrecht
# Einblick

Ein Gespräch zu „ekhn.2030“ mit Dekan i.R. Hans-Otto Rether und DSV-Mitglied Benjamin Albrecht
Sorgen ernst nehmen und Transparenz bei Veränderungen - ein Gespräch
Im Januar vereinigen sich die Stiftskirchengemeinde und die Jakobusgemeinde Diez-Freiendiez zur evangelischen Kirchengemeinde Diez. Die 2023 im Dekanat Nassauer Land gebildeten Nachbarschaften arbeiten enger zusammen. Das sind einschneidende Veränderungen, die den Kirchengemeinden in und rund um Diez bevorstehen. Mit Hans-Otto Rether, ehemaliger Dekan des Dekanats Diez, und Benjamin Albrecht, Prädikant sowie Mitglied des Kirchenvorstands der Stiftskirchengemeinde und des Dekanatssynodalvorstandes haben wir über Ängste, Hoffnungen und Wünsche gesprochen, die das in Diez und der Region auslöst.
In einem Satz: Was ist der wichtigste Auftrag der Institution Kirche?
„Der wichtigste Auftrag der Kirche ist es, die Liebe Gottes zu allen Menschen zu tragen, sie zu trösten, zu stärken und zur Gemeinschaft einzuladen, unabhängig von Herkunft oder Lebensweise“, formuliert Benjamin Albrecht, was für ihn der wichtigste Auftrag der Institution Kirche ist. Für Hans-Otto Rether soll Kirche die Menschen in verschiedenen Lebenslagen begleiten. „Kirche und Religion vertreten gegenüber dem Materiellen die geistig-geistliche Dimension und stellen die Frage nach den Grundlagen einer Gemeinschaft, nach Sinn und Werten. Dabei betont Rether: „Kirche ist für die Menschen da und nicht die Menschen für die Kirche“.
Wie kann der Weg dorthin aussehen?
Für Rether und Abrecht sind Regeln und Strukturen für eine Gemeinschaft und um wirksam Kirche sein zu können, unausweichlich, sie dürften allerdings kein Selbstzweck sein, bekräftigen beide. „Manche Vorschläge und Maßnahmen der evangelischen Kirche kommen bei den Menschen wie Selbstaufgabe und Selbstabschaffung an“, sagt Rether.
Albrecht beobachtet mit Sorge, dass evangelische Landeskirchen in vielen Belangen sehr verkopft und bürokratisch an Themen herangehen. „Da gibt es unzählige Formulare, Dienstpostwege, top-down organisierte Zuständigkeiten und Organigramme. Wir sind die Kirche Jesu Christi und kein Landratsamt.“
„An erster Stelle wünsche ich mir eine Konzentration auf die ureigensten Aufgaben der Kirche: Gottesdienst, Seelsorge, religiöse Bildung“, formuliert. Rether. Dazu gehöre die Regelmäßigkeit von Gottesdiensten, was Ort und Zeit anbelangt, die „einen Hauch von Ewigkeit und ein Zeichen der Beständigkeit“ ausstrahlen. „Es braucht lebensnahe Gottesdienste, in denen es um heutige Fragen im Lichte der biblischen Botschaft geht.“ Taufen, Trauungen, Beerdigungen und anlassbezogene Andachten sollten die Situation der Beteiligten im Blick haben. Zudem brauche es die Pflege persönlicher Kontakte zur Gemeinde durch Besuche und Besuchsdienste.
Albrecht sieht ebenfalls Gefahren. Dass durch größere Strukturen des Gemeindelebens die eigene Identität der Kirchengemeinden verloren gehen kann, dass Ehren- und Hauptamtliche durch eine Überforderung frustriert und demotiviert werden oder dass es zu Ungleichheiten innerhalb der Kirche kommt, weil nicht alle im gleichen Umfang davon profitieren. „Der Prozess erfordert von allen Beteiligten ein hohes Maß an Flexibilität und Veränderungsbereitschaft und Vertrauen“, so Albrecht. Für ihn sei er aber ein mutiger, wichtiger und unumgänglicher Schritt. „ekhn.2030“ biete die Chance, Kirche für die Zukunft zu stärken und sie fit für die Herausforderungen der modernen Gesellschaft zu machen, so Albrecht. Es sei eine einmalige Gelegenheit, das Gemeindeleben neu zu denken und dabei liebgewonnene Traditionen zu bewahren, „während wir unnötigen Ballast über Bord werfen. Wir können unsere Verwaltung vor Ort verschlanken und trotzdem alle Verwaltungsangebote eines Gemeindebüros für die Menschen in der Gemeinde anbieten. Wir können im Bereich der Kirchenmusik enger zusammenarbeiten, in der Jugendarbeit und bei besonderen Gottesdiensten“. Die notwendig intensivere Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden könne zu neuen Impulsen und Synergien führen.
Die jetzigen Diskussionen und Veränderungen habe er vor 15 Jahren erlebt, als er noch der katholischen Kirche angehörte und sich dort ehrenamtlich engagierte.„Damals habe ich gelernt, dass es wichtig ist, sich auf Veränderungen einzulassen und möglichst groß zu denken, damit man sich nicht über viele Jahre hinweg in Strukturdebatten verliert“ sagt Albrecht. Kirche finde in Zukunft nicht mehr nach dem Modus der alten, großen Volkskirchen statt, ist er überzeugt. „Es wird, ja es muss, eine Kirche im Kleinen sein, die sich trotzdem der Größe ihrer Botschaft bewusst ist. Um die Gefahren zu minimieren und die Chancen zu nutzen, sei aber eine offene und transparente Kommunikation und eine kontinuierliche Begleitung des Veränderungsprozesses unerlässlich.
„Wie das verwaltungsmäßig organisiert wird, ist den Menschen ziemlich gleich“, sagt Rether. Der ehemalige Dekan hält ebenfalls größere Einheiten und mehr Zusammenarbeit in einigen Bereichen sicher für nötig. „Andererseits darf die Nähe zu den Menschen nicht aufs Spiel gesetzt oder gar verspielt werden.“ Die evangelische Theorie von einer „Kirche von unten“ werde einer von oben verordneten Verwaltung untergeordnet“, kritisiert der Theologe und befürchtet, dass sich kirchlich engagierte Menschen von ihr abwenden, weil sie das Gefühl haben, in ihren Ängsten und Meinungen nicht mitgenommen zu werden.
Wie passt es zusammen, dass die EKHN als eine von 20 Landeskirchen ihren Gemeinden einen Sparprozess abverlangt, obwohl der Prozentsatz der Kirchenmitglieder im Rhein-Lahn-Kreis um fast die Hälfte höher liegt als im Bundesdurchschnitt?
Beide Gesprächspartner sind sich einig, dass das auf Dauer nicht so bleiben kann. „Die Landeskirche sollte selbst machen, was sie von ihren Kirchengemeinden jetzt erwartet“, formuliert Rether seine Forderung nach Fusionen auf höheren Ebenen. Er erinnert an Vorbilder wie die Nordkirche und an die Kirche in Mitteldeutschland. „Wir beklagen aller Orten einen Mangel an Pfarrerinnen und Pfarrern in unseren Gemeinden. Einen Mangel an Landesbischöfinnen, Kirchenpräsidenten, Präsides, Regionalbischöfen, Pröpstinnen und Dezernenten habe ich noch nicht wahrgenommen“, verdeutlicht Albrecht das Einsparpotenzial in kirchlichen Spitzenämtern. Die Größe der Dekanate werfe die Frage auf, inwieweit es noch der Propstei-Ebenen bedarf. Sich auf die vermeintlich noch „gute“ Mitglieder-Situation im Rhein-Lahn-Kreis zurückzuziehen und daraus abzuleiten, sich weniger schnell bewegen zu müssen wie an anderen Orten, springt für ihn allerdings zu kurz. Albrecht: „Gerade wenn wir jetzt noch kraftvoll sind und wahrgenommen werden, sollten wir aus dieser Position der Stärke heraus den Wandel gestalten Chance.“ Fette Jahre solange zu genießen, wie es nur irgendwie geht, ohne ans Morgen zu denken, hält er für den falschen Weg.
Rether wünscht sich für die überörtliche Zusammenarbeit in der Region, „dass das Prozedere nicht zu umständlich wird.“
Noch frappierender als die rückläufigen Steuereinnahmen ist der Mangel an theologischem Nachwuchs – wie soll darauf reagiert werden?
Mit 2,5 Pfarrstellen sei die Situation im Raum Diez etwa im Vergleich zum Westen des Dekanats noch sehr komfortabel, meint Rether und betont noch einmal die Bedeutung von Gottesdiensten gerade in Kirchengebäuden: „Sie sind eine Botschaft in Stein und Identifikationssymbole eines Ortes sowie Stellen der Kultur.“ Im Gegensatz zum Gemeindehaus habe die Kirche einen „Glanz des Heiligen“, das etwas von dem vermittelt, was nicht sagbar ist. Klassische und Event-Gottesdienste dürfe man nicht gegeneinander ausspielen, beide fänden ihre Besucher-Kreise, wobei die Kollegschaft bei zu vielen Sondergottesdiensten auch irgendwann an ihre Grenzen stoße.
Natürlich sei der Einsatz und die Ausbildung von Lektorinnen und Lektoren oder Prädikantinnen und Prädikanten angesichts des rückläufigen Pfarrpersonals unerlässlich, so Rether. „Eine einheitliche klar erkennbare Amtstracht für diesen Personenkreis könnte eine größere Akzeptanz bewirken“, ist er überzeugt. Darüber hinaus könnten bei plötzlicher Erkrankung auch Menschen aus dem Kirchenvorstand befähigt werden, einen vorbereiteten Gottesdienst zu leiten. „Das wäre sicher sinnvoller, als die Leute nach Hause zu schicken.“
Für Albrecht sind es die immens hohen Studien-Ansprüche an den theologischen Nachwuchs innerhalb der EKHN, die zum Schwund an Pfarrpersonen beitragen. Es fehlten vernünftige Möglichkeiten zum Quereinstieg in den Pfarrberuf, um sich das volle Potential der Menschen zu erschließen, die in ihr eine berufliche Zukunft sehen. Andere Landeskirchen gingen da progressivere Wege, etwa in Bayern und ermöglichten Menschen, die kein Abitur und kein Studium haben, einen Weg in den Pfarrberuf. Die Kurse seien schon bis 2027 ausgebucht. Er kenne sogar einen römisch-katholischen Bezirksdekan, der mit Handwerksausbildung und ohne Abitur Theologie studiert habe. „Es ist ohne Abitur also einfacher, Dekan in der katholischen Kirche zu werden, als Pfarrer im Nassauer Land. Das muss mir mal jemand erklären.“
Neben dem theologischen Nachwuchs ist das ehrenamtliche Engagement rückläufig.
Als hauptamtlich beim DRK arbeitender Abteilungsleiter weiß Albrecht, dass unter diesem demografischen Problem nicht nur Kirche leidet, sondern alle Organisationen, die auf Ehrenamtliche angewiesen sind. Er könne verstehen, wenn sich jemand in seiner Freizeit nicht permanent mit Gremiensitzungen und Strukturdiskussionen befassen möchte. „Hier braucht es eine engmaschige Begleitung der örtlichen Gremien durch das kirchliche Hauptamt, wie es momentan ja auch im 2030-Prozess passiert. „Nur wenn die ehrenamtlich Verantwortlichen vor Ort sehen, dass sie mit ihren Einwänden, Sorgen und Problemen ernst genommen werden, dass man ihnen die Prozesse und Entscheidungen der Synode erklärt und ihnen die Möglichkeit gibt, kirchliches Leben vor Ort auch in größer werdenden Nachbarschaften zu gestalten, kann es uns gelingen, dass die Leute nicht frustriert von der Fahne gehen.“, so Albrecht. In Diez-Esterau erlebe er einen Dialog auf Augenhöhe zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamt und ist zuversichtlich, einen guten Weg zu finden, Kirche vor Ort zu leben, regionale Identitäten zu pflegen und trotzdem über das eigene Dorf, die eigene Stadt hinauszudenken.
„Das größte Kapital einer Firma oder Gemeinschaft sind motivierte Mitarbeiter, gleich, ob hauptamtlich oder ehrenamtlich“, erklärt Rether. Dazu gehörten echte Beteiligung und Mitgestaltung. Mitarbeiterpflege sei selbstverständlich. In diesem Sinne könne auch Negativ-Werbung durch die Kirche selbst vermieden werden.
Ab 2026 sind Pfarrpersonen nicht mehr einer Kirchengemeinde zugeordnet. Vielmehr werden dann Verkündigungsteams in der Nachbarschaft, zu denen auch Hauptamtliche im gemeindepädagogischen und kirchenmusikalischen Dienst gehören, sich den Gemeinden zuordnen.
Für Rether bedarf es noch einer genaueren Beschreibung, was sowohl die Kirche als auch die Menschen von einem solchen Team erwarten. Ungeachtet dessen, wie gut die Personen miteinander kommunizieren, sei die Frage offen, ob sich die persönlichen Stärken zum Segen für die Menschen ergänzen lassen. Ein entscheidender Faktor dabei ist für ihn, dass persönliche und damit seelsorgliche Kontakte zur Gemeinde gepflegt werden.
Albrecht sieht in den Teams für die Evangelischen der Region und deren seelsorgliche Betreuung eher Vorteile, wenn sich Pfarrpersonen nach ihren eigenen Stärken und Talenten einbringen und auf Seelsorge-Bereiche spezialisieren. Gleichzeitig könnten etwa Beerdigungsdienste, Taufpastoral und Jugendarbeit deutlich besser organisiert werden und den Menschen vor Ort ein attraktives Seelsorgeangebot machen. „Viele Schultern tragen die Verantwortung eines Nachbarschaftsraums leichter“, so Albrecht, „und es macht den Pfarrberuf nach ekhn.2030 attraktiver als das bisherige Wirken als Einzelkämpfer“. Neben seiner grundsätzlichen Kritik am schwierigen Eintritt in den Pfarrdienst der EKHN stellt sich für ihn allerdings die Frage, wieso nach aktueller Rechtslage Prädikantinnen und Prädikanten nicht Teil der Verkündigungsteams sind.
Weihnachten steht vor der Tür. Was sagt man Menschen, die Angst haben, dass da kein Gottesdienst sein wird?
Die „Gefahr“ schätzt Albrecht als sehr gering ein, fänden sich gerade für die Feiertage immer noch Pfarrpersonen im Ruhestand oder Personen im ehrenamtlichen Verkündigungsdienst. Und sollte doch mal niemand zur Verfügung stehen, ist seine Botschaft: „Feiert Weihnachten! Nehmt den Gedanken des Priestertums aller Getauften ernst, tut Euch in Eurer Gemeinde zusammen, feiert einen Gottesdienst, predigt Euch von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus Mensch geworden ist, organisiert ein Krippenspiel, feiert Abendmahl. Seid die Kirche, die Ihr sein wollt und wartet nicht auf Darmstadt, Bad Ems oder sonst wen.“
Das sieht Rether zumindest für den Raum Diez genauso. Wenn es rechtzeitig bekannt ist, könne das auch ohne ausgebildeten Liturg gelingen. „Da wird sich jemand aus dem Ort finden; es gibt ja Gottesdienste zum Ablesen, und ein Krippenspiel kann auch eine kleine Gemeinde nach eigenen Möglichkeiten und Vorstellungen gut selbst gestalten.“
Das Gespräch führte Bernd-Christoph Matern
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